Richtung
Ist das ein Wort, das einer genaueren Betrachtung bedarf? Da weiß man doch, was Sache ist, man weiß, wo‘s langgeht. Die Richtung zeigt es doch klar an.
Weit gefehlt.
Fangen wir mal an mit dem, was es mit einem Kompass, mit einem Richtungsmesser oder -anzeiger auf sich hat. Ein Instrument, das - orientiert an Geodaten - von einem bestimmten Ort aus angeben kann, wo Norden, Süden, Osten und Westen ist. Wenn man also eine Expedition in die Antarktis machen wollte, so kann man sich an der Richtungsangabe des Kompass orientieren.
Überhaupt ist das mit den Richtungen Norden vs. Süden noch einigermaßen klar. Da hat man die Pole. Schwieriger wird es mit West vs. Ost. Dann nämlich, wenn man die gesamte Welt betrachtet. Wo was ist, kann einem auch hier zwar der Kompass von einem bestimmten Ort aus anzeigen. Aber wie es dazu kam, eine statische, flache, zweidimensionale Aufteilung auf der platten Karte zum Planeten Erde zu machen, der doch eine Kugel ist, das wiederum ist dann nicht mehr so eindeutig.
Nehmen wir irgendeine Stadt in Deutschland. Befindet man sich in Madrid und will dorthin, liegt Deutschland aus dieser Position im Osten. Ist man dagegen in Riga, erreicht man die Bundesrepublik gen Westen.
Wo also liegt Deutschland global gesehen?
Wenn man die üblichen geografischen flachen Land-Karten sieht, dann erscheint Europa groß und ziemlich zentral. Von da aus gesehen ist klar, wo Westen und Osten ist.
Auf einer maßstabgerechten Kugel allerdings erweist sich, dass die Proportionen andere sind - Europa ist dann lange nicht so groß, Afrika z.B. deutlich größer - und die Mitte ist dann auch nicht mehr klar. Wie auch, auf einer Kugel?
Was folgt aus dieser Perspektive, die eine andere ist, als sie verzerrte Landkarten aus dem Erdkunde-Unterricht vermitteln: Europa ist ein Kontinent, ein anderer Asien. Und während Asien von klassisch „westlicher“ Perspektive aus im Osten liegt (und damit weit abgeschlagen wie der Begriff „Fernost“ deutlich macht), ist dieser Kontinent mittendrauf auf der Erdkugel, wenn man diese nur anders abbilden würde.
Die eurozentristische Auffassung der Welt - in geografischer, historischer und vielerlei anderer Hinsicht - ist schlicht falsch. Und sie ist irreführend. Sie weist nämlich nicht sachlich Richtungen auf, sondern fokussiert alles auf sich.
So werden Perspektiven verbaut, werden Machtansprüche verankert, werden politische und gesellschaftliche Vorgehensweisen eingeschlagen, die den Tatsachen nicht gerecht werden, sie gar konterkarieren.
Damit wird kein objektiver Blick auf die Welt, ihre gleichberechtigten Chancen und Herausforderungen und vor allem nicht der Zusammenhang zwischen allen Teilen der Erde möglich, sondern vor allem Grenzziehung und Richtungsstreit als gegeben postuliert.
Als hätte es eine wissenschaftlich fundierte Säkularisierung nie gegeben. Als wäre das Bild der Welt immer noch „gottgegeben“. Und als würden nicht permanent weitere Verschiebungen stattfinden, die manchmal zu Erdbeben oder Tsunamis führen.
Zeit, den eigenen Kompass endlich mal neu zu kalibrieren und die Orientierung neu auszurichten. Dann sehen wir auch wieder klarer, wo‘s langgeht.