Zeichen
Die Zeichen stehen in diesen Zeiten wahlweise auf Sturm, auf Krawall, auf Versöhnung, auf Veränderung, auf vieles andere mehr. Je nachdem, wo man sich gerade befindet. Auf jeden Fall weisen sehr viele Anzeichen darauf hin, dass wir in ungemütlichen Zeiten leben. Und das liegt nicht zuletzt daran, dass wir kein einziges Zeichen haben, auf das wir uns einigen, an das wir uns halten könnten, sondern uns mit Zeichen in nie gekannter Menge herumschlagen müssen. Sie kommen nicht in Einzahl, sondern massenhaft vor.
Zeichen waren einmal hilfreich, weil sie Orientierung geben konnten. Ein Zeichen war ein Wegweiser oder ein Symbol, das eine Botschaft enthielt. Egal ob es eine Himmelsrichtung war, die anzeigte, wohin man sich wenden konnte, wo möglicherweise das gelobte Land lag, oder ein Piktogramm, das ewige Seligkeit verhieß, wenn man nur fest genug daran glaubte.
Heute sind derart gewichtige Zeichen abgelöst von Emojis, von Memes, von Markenbildern, die interpretatorisch irgendwo zwischen kommunikativer Verkürzung, Belustigung oder Genuss liegen. Die Versprechen geben, die - das sehen wir immer deutlicher - dann doch nicht gehalten werden.
Nicht, dass das mit den Versprechen schon mal wirklich anders gewesen wäre. Egal ob religiöser, politischer oder technischer Art - mit großem Tamtam und viel Inszenierung haben die Protagonist:innen verschiedener Heilslehren etwas in Aussicht gestellt, was sich bei hellem Licht oder mit geschärfter Aufmerksamkeit als Chimäre erwies. Die Hoffnungen, ob auf das Irdische oder eine Zeit irgendwann nach dem Abbleben gerichtet, sind allerorten geschwunden. Wir sind in jeder Hinsicht vom Glauben abgefallen und auf dem Boden der Realität angekommen, von dem wir irgendwie nicht wieder hochkommen.
Also versuchen wir mit neuen Zeichen, die bunt sind, schillernd, blinkend und laut, vor allem eins zu erreichen: Ablenkung. Die Zeichen zeigen überall hin, wir haben eine Auswahl ungeahnten Ausmaßes. Und sind mit unseren nicht größer werdenden Gehirnen nicht mehr in der Lage, darin Sinn zu erkennen.
Denn das war einmal die wesentliche Bedeutung von Zeichensetzung: Damit sollte es möglich sein, sich einer Bedeutung, einem Zusammenhang, einem Inhalt zu nähern und zu begreifen, wohin es gehen und wie man etwas auslegen kann.
Zeichen waren einmal Anhaltspunkte, an die man sich halten konnte, die einen Moment des Innehaltens ermöglichten, um von da aus weitermachen zu können. An die man auch zurück konnte, wenn es chaotisch wurde, um sich zu vergewissern und neue Kraft zu tanken.
Solche Zeichen sind verloren gegangen. Heute kann jede und jeder, alles und jenes Zeichen sein und trägt so bei zur verbreiteten Orientierungslosigkeit. Auch, weil uns die Idee abhanden gekommen ist, wozu ein Zeichen gut wäre: eine Ausrichtung an dem, was im tiefsten Sinne menschlich und verantwortlich wäre.
Dieses Zeichen auszugraben, das verbinden könnte, wäre mal ein gutes Zeichen.