Wut

Wut

Heute geht es um ein besonders starkes Gefühl: Wut. Die wird in der Regel nicht so gerne gesehen. Man soll sie zügeln, soll sich mäßigen, soll sich eines solchen Gefühls gar schämen. Gefühle haben es in einer sogenannten zivilisierten Welt ohnehin schwer, die Wut hat hier den schlechtesten Leumund.

Wenn sich Kinder vor Wut auf den Boden schmeißen, jemand vor lauter Wut einen Schreianfall bekommt, ein anderer wütend Menschen beschimpft, dann hofft das Umfeld, dass dieser Ausbruch doch bitte schnell vorbei sein möge. Wut wird hier als kurzfristig andauernde, akute Ausnahmesituation verstanden, die im besten Fall mit Ignoranz oder dann doch mit Disziplinarmaßnahmen beendet werden kann.

Mittlerweile sind allerdings ganze Gesellschaftsgruppen nach diesem Begriff benannt: Wut-Bürger. Sie kommen aus diesem Momentum gar nicht mehr heraus, regen sich ständig, dauernd und über alles auf, finden eine Steigerung sogar in einem harten Kern, der mit permanenten Hass-Reden in allen Kanälen auf sich aufmerksam macht.

Hier bekommt der schlechte Ruf der Wut also ordentlich Nahrung. 

Nicht nur, dass diese aggressive Version gar nicht mehr darauf angelegt ist, ein Ärgernis zu verhandeln und aus dem Weg zu räumen. Solche destruktive Wut zerstört gesellschaftliches Miteinander, den kontinuierlichen Versuch, demokratische Werte weiterzuentwickeln. 

Nicht um diese bösartige und böswillige Wut geht es allerdings an dieser Stelle, sondern um eine Wut, die sich nur leise regt, sich eher unterschwellig verbreitet und die im Alltag kaum bemerkbar ist. Doch diese Wut ist in der Konsequenz kaum weniger gefährlich für eine demokratische Gesellschaft, vielleicht sogar zersetzender.

Es ist die Wut derjenigen, die weder qua Kraft, noch Macht, noch Medienzugang oder anderer Privilegien laut werden und eindrücklich agieren könnten. Es ist die Wut von zunehmend mehr Menschen, die keine Clique sind, keine Peers, keine Blase oder sonst eine Art von definierter Gruppierung. Es sind Menschen in großer Vielfalt, wie sie auch diese Gesellschaft ausmachen. 

Deren Wut richtet sich gar nicht unbedingt gegen ganz konkret benennbare Personen, nicht gegen ganz spezifische Institutionen oder Organisationen. Sie richtet sich gegen eine Verflechtung, die Ungerechtigkeit erzeugt. Ob von Spaltung, von Schere, von Gräben die Rede ist - immer häufiger wird festgestellt, dass die Idee von „Freiheit und Gleichheit“, von „Einigkeit und Recht“ nicht mehr gegeben ist. Ein großer Teil der Menschen ist zunehmend abgehängt von der Möglichkeit, die Gesellschaft, in der sie leben und an der sie teilhaben wollen, mitzugestalten.

Immer mehr macht sich das Gefühl breit, nicht nur nicht dabei sein zu dürfen, sondern noch nicht mal gehört zu werden. Immer mehr Menschen fühlen sich als Beobachter einer Veranstaltung, die sie nicht besuchen wollten, die sie entsprechend nicht gebucht haben und die sie erst recht nicht bezahlen wollen.

Aber genau das sollen sie tun. Sie sollen das gesamte Konstrukt aufrecht erhalten, sollen sich fügen in die Vorgaben, die an anderer Stelle gemacht wurden, sollen den Preis begleichen, den andere festgelegt haben. Unabhängig davon, ob sie dies können oder nicht. 

Doch dieses Publikum begehrt langsam auf. Nicht in Form einer Revolution, eines Generalstreiks, einer Demo, die alles lahm legt. Dieses Publikum hat andere Methoden. Es verweigert sich immer mehr auf subversive Art. Ohne Abstimmung, unorganisiert und doch vernetzt, entzieht es sich dem Regelwerk, das über Jahre und Jahrzehnte zu ihren Ungunsten aufgestellt wurde.

Sie machen einfach nicht mehr mit. 

Patriarchalisches Gebahren, Steueroptimierung, Postengeschachere, Hinterzimmer-Vereinbarungen, mafia-artige Drohkulissen, Machtspielchen - Hollywood wäre kaum in der Lage, die Fantasie der dahinterstehenden Akteure in eine glaubhafte Story zu bringen.

Einher mit diesen Varianten der Vorteilsnahme gehen - da sind wir wieder bei der Spaltung - Kategorie-Zuordnungen wie Bürgergeldempfänger:innen, Bildungsarme, Abgehängte hier - versus Eliten, Superreiche und Profiteure dort.

Immer mehr Menschen sind diese Ausgrenzung leid. Und zwar die in die erste Kategorie. Denn da wollten sie weder hin, noch gehören sie in dieses Schema.

Das Vertrauen ist schon lange erodiert, Gehorsam ist keine Tugend mehr (sollte es auch nie gewesen sein) und Leistung verspricht kein garantiert würdiges Leben. 

Da kann man schon mal wütend werden.

Wenn aus diesem unguten Gefühl doch noch was Gutes werden soll, dann würde das nur gehen, indem man die Energie, die in Wut verpackt ist, umleiten würde in eine neue Gerechtigkeit, die allen ein freies würdiges Leben ermöglicht. Dann wäre nicht aller Ärger auf der Welt weg, aber man müsste nicht gleich vor Wut aus der Haut fahren.

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