Meinung

Jede und jeder hat sie. Eine Meinung. Mittlerweile zu fast allem, spätestens seit eine giftige Boulevard-Zeitung genau dazu imperativ aufruft.

Nachrichten sind in Zeiten von Kurzatmigkeit - das waren sie allerdings im Fall dieses Mediums noch nie - selten dazu geeignet, Sachlagen zu beschreiben, zu analysieren, in einen Kontext zu bringen und so verständlich zu machen. Sie werden zunehmend danach ausgewählt und so dargestellt, dass sie möglichst flott an die Instinkte appellieren. Schnappatmung garantiert.

Mittlerweile ist es nahezu egal, um welches Thema es geht.

Infrastruktur. Bildungsnotstand. KI-Regulierung. Machtverhältnisse. Zölle. Arbeitszeiten. Waffenlieferung. Klimaschutz. Inklusion. Parkplätze. Reiseziele. Wetter. Usw.Usf.

Es gibt niemanden, der nicht sofort zu all dem eine Meinung hat und sie auch äußert. Oft genug mit dem Brustton der Überzeugung, dass man auch Bescheid wisse, informiert sei und die Lage natürlich durchschaut hätte.

Fragt man mal vorsichtig nach, woher denn dieser imposante allumfassende Kenntnisstand gewonnen sei, so wird die Aufregung möglicherweise noch größer, der Inhalt selten tiefer. Es geht nicht darum, in eine substanzielle Auseinandersetzung zu einem Thema zu kommen, sondern einen Schlagabtausch zu befeuern, bei dem man mit möglichst viel Rechthaben punkten kann und es am Ende idealerweise einen Imperator gibt, der den Daumen hebt. Was im Umkehrschluss bedeutet, dass er über den “Verlierern”, die nicht aufgeregt genug waren, gesenkt wird.

Es geht nicht mehr darum, sich einer Erkenntnis zu nähern, etwas dazuzulernen, andere Auffassungen kennenzulernen. Es geht vor allem darum, ein Auftreten hinzulegen, das den anderen im realen oder virtuellen Raum zeigt, wie es aussieht, wann man mit dominanter Pose den Raum beherrscht. Das geht einher mit lauter und gestisch ausholender Selbstdarstellung und folgt damit den klassischen Formen des Revierverhaltens. 

Damit werden in einer Aufführung, die nur für den Moment gedacht ist, Zeichen gesetzt, die klar machen, wer der Ansager ist. Wer also an der Position ist, für die  Auslegung des Themas zuständig zu sein. Wobei das nicht gleichbedeutend ist mit kompetent oder durch Sachkenntnis erwiesenermaßen fundiert gebildet.

Die Zuständigkeit wird durch die Umstände, die Rollenverteilung, durch die medialen Strukturen vergeben. Und damit ist das Setting definiert, in dem Meinung entsteht und wohin sie verbreitet wird.

Informationen und Nachrichten, Reportagen und Dokumentationen zu suchen, zusammenzustellen und aufzubereiten, um sie dem Publikum einer demokratischen Gesellschaft als Entscheidungsgrundlage zur Verfügung zu stellen, ist immer seltener das Wirken von Medien. Vielmehr ist es ein Geschäft geworden, das darauf basiert, in die Logik von Fast Food einzuschwenken und Fast News zu liefern, womit schnelle Sättigung versprochen wird, die mittlerweile aber nur noch zu Würgreflexen führt.

Inhalte und Botschaften, die zu bewusster Auseinandersetzung, zu Diskussion, Abwägung und in der Folge Handlungsspielraum führen könnten und damit echte Meinungsentwicklung ermöglichen würde, ist immer weniger das, was uns in der Flut aus Worten und Bildern entgegenkommt.

Sich eine Meinung zu bilden, ist allerdings kein Mechanismus, der auf der Grundlage einer fetten Schlagzeile mit Drama und Ausrufezeichen passiert.

Auf den Satzanfang „Ich meine, ….“ sollte eine lange Pause folgen. Und in dieser Pause muss es möglich sein, zu erkennen, dass es fehlt an Hintergründen und Fakten, die eine Meinung erkenntnisreich machen könnte. Der Satzanfang sollte also eher lauten „Ich denke, …“ oder eher noch “Ich vermute, …”.

Wer nichts beizutragen hat zu Denkprozessen, die eine fundierte Meinung ergeben, die zu etwas Sinnvollem führt, bleibt vielleicht mal still.

Kann in einer Zeit, in der Meinungsäußerungen zu Verstopfung führen, ein sehr entspannender Moment sein.

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