Interpretation

Alles, was nicht klar ist, nicht eindeutig, was sich unserem direkten Zugang entzieht, wo wir nicht hinter die Kulissen schauen können, ist auf der einen Seite verunsichernd, eröffnet jedoch auf der anderen Seite große Spielräume. Und nun steht die große Frage im Raum, wie dieses Spiel gespielt werden und wer daran teilhaben kann.

Je größer und mannigfaltiger die Unklarheiten, desto größer wird der Wunsch, dass doch bitte mal jemand für Durchblick sorgen möge, die Dinge also klärt. Möglichst definitiv, möglichst final. Immerhin will man wissen, woran man ist.

Ob in der Politik, im privaten Umfeld, bei einer Stellenausschreibung oder auch im kulturellen Betrieb. Was darf man sagen, wie muss man etwas auffassen, welche Themen sind gesetzt. Was also gilt?

Hier kommt die Interpretation ins Spiel, deren Definition wiederum lautet: kommt drauf an. Das klingt für die Meisten nicht unbedingt befriedigend. Denn: Worauf kommt es denn an? Schon wieder eine Frage, auf die es - verdammt nochmal - nicht einfach und nicht eine Antwort gibt.

Nähern wir uns dem Wort, so sehen wir erst einmal die Silbe „inter“. Die deutet ein Zwischenreich an oder eine Situation irgendwo zwischen den Stühlen. Bei der Interpretation geht es also darum, diese Lücke zu füllen, zwischen zwei oder mehr Seiten, Ansichten, Vorstellungen etc. zu vermitteln.

Das kann man tun, indem man eine bestimmte Sichtweise oder Meinung zur alleinseligmachenden Regel erhebt und alle Schattierungen oder anderslautenden Ansätze darunter einebnet. Das nennt man allerdings weniger eine Vermittlung, sondern eher ein Durchregieren. Basta.

Eine echte Interpretation, aus der sich auch noch etwas lernen lässt, die startet erst einmal bei der Analyse, sprich: All die Fragen, die im Raum stehen, werden so unbewertet wie möglich auf den Tisch gelegt. Und dann versuchen die Beteiligten, Informationen - im besten Fall Fakten und Argumente - zusammenzutragen, um das, was da auf dem Tisch liegt, von vielen Seiten beleuchten zu können. 

Meist ist das Ergebnis nicht eindeutig. Es gibt sich widersprechende Hinweise, es gibt unterschiedliche Erfahrungen, bei der Auslegung von bestimmten Informationen wird man sich nicht einig.

Allerdings werden im Rahmen eines solchen Diskurses bereits Verschiebungen deutlich und die Erkenntnis bekommt Raum, dass es nicht die eine Lösung gibt. Durch den Austausch entsteht im besten Fall zunehmend die Bereitschaft, sich auf andere Auffassungen einzulassen, für die Auslegung des Themas tatsächlich auch andere Aspekte zuzulassen. 

Und dann beginnt eine Interpretation auf der Grundlage verschiedener Perspektiven. Erst so wird ein Erkenntnisgewinn möglich, dass es nämlich gute Gründe gibt für eine kontroverse Auslegung eines Sachverhalts, über die man sich verständigen kann. In der Folge kommt eine interpretatorische Erklärung zustande, der sich im besten Fall dann doch mehrere anschließen können.

Damit wird zwar nach wie vor die Welt nicht eindeutig, werden Inhalte nicht ewig gültig und wird das Lebensmodell aller nicht final, aber die Verunsicherung weicht, weil man erkennen kann, wie durch diese gemeinsame Annäherung zumindest dahingehend Einigkeit zustande kommt: Wir können uns - immer wieder - verständigen.

Klingt zu schön, um wahr zu sein. Allerdings hat auch diese Nummer einen Haken: sie ist mühsam, braucht Zeit und nicht zuletzt die Bereitschaft, sich auf unterschiedliche Sichtweisen und einen Weg einzulassen, dessen Ziel nie und für immer fixiert ist. Es geht immer weiter mit der Interpretation. Immer weiter mit den Möglichkeiten.

Weiter
Weiter

Logik