Außergewöhnlich

Dies ist das erste Adjektiv, das es als Titel in diesen Blog schafft, in dem bislang nur Substantive standen. Warum das? Ein „Hauptwort“, wie man ein Substantiv auch bezeichnet, ist mit dem Begriff außergewöhnlich nicht wirklich zu bilden. Außergewöhnlichkeit ist in der Bibel der deutschen Sprache, dem Duden, nicht vorgesehen.

Dabei hätte es dieses Wort durchaus verdient, eine besondere (!) Rolle in der Sprache zu spielen und hier mal genauer beschrieben zu werden. Dass dies im Deutschen nicht der Fall ist, könnte hellhörig machen.

Außergewöhnlichkeit - und hier bekommt das Wort nun mal diesen substantivischen Rang - hat man in einem Land, das die Norm zum zentralen Element des Lebens erklärt hat, nicht so gern. Alles muss definierbar, messbar, zählbar, exakt zu bestimmen und in ein Raster zu pressen sein. Was sich dieser Logik nicht unterwirft, was irgendwie schräg, eigen, auffällig ist und sich Standards nicht fügt, kann man in einer Welt, die derart sortiert worden ist, nicht zulassen.

Das galt lange, so ist man, so ist ein ganzes Land groß geworden. Doch es regt sich Widerstand. Dies wiederum bringt nicht nur erfreuliche Früchte hervor. 

Ob es eine Unmenge an Spielshows ist, an Wettbewerben der skurrilsten Art oder an sonstigen Formaten der Unterhaltungsindustrie - diese sind darauf angelegt, Menschen und Verhaltensweisen zu belohnen, die besonders abwegig sind. Alles, was neudeutsch krass, besser noch voll krass bis hin zu skandalös ist, bekommt Sendeplatz, wird algorithmisch ganz nach vorne geschoben, erhält Aufmerksamkeit. 

Das jedoch ist es nicht, was hier mit „außergewöhnlich“ gemeint ist; diese Erscheinungen machen der Bedeutung des Wortes keine Ehre. Und die sollte man dem Außergewöhnlichen schon erweisen.

In einer Welt, die schon als solche ein Wunderwerk ist, dem - wenn man mal genau hinschaut - jede Gewöhnlichkeit abgeht, sind die Dinge und Ereignisse besonders schön und nachhaltig bewundernswert, die eben in kein Raster, keine Norm und keine Excel-Tabelle passen.

Natur ist außergewöhnlich, künstlerische Ausdrucksformen, menschliche Mimik, kindliche Antworten, kreative Lösungen und so Vieles mehr, was man täglich in der eigenen Umgebung entdecken kann, sind es.

Wenn es also nicht darum geht, ein solches Phänomen verwertbar zu machen und es allen zur Verfügung stellen zu müssen, es nicht das Ziel ist, das Besondere zum Allgemeinen umzuformen, wenn stattdessen eine solche Außergewöhnlichkeit wahrgenommen wird und man sich darüber freuen kann, dass es sie gibt, dass Unterschiede das Leben ausmachen, dass das Spezielle nicht verallgemeinert werden muss, dann wird die Welt von mehr Möglichkeiten bevölkert, die allen zugute kommen.

Es müssen keine „außergewöhnlichen Leistungen“ sein, wie sie manchmal in Schulzeugnissen attestiert werden, denn um Leistung geht es nicht. Etwas anders zu denken, eine Sache auf neue Weise anzugehen, den Mut zu haben, ohne Vorgaben und Regeln eine eigene Idee zu äußern und nach der zu handeln, sich des Eigensinns zu bedienen, das alles macht das Leben außergewöhnlich. Menschlich eben.

Das ist - bei aller Begeisterung muss man auch diese Kehrseite benennen - höchst anstrengend. Außergewöhnlich ist nämlich sozusagen das Gegenteil von bequem. Sich im Rahmen von Vorgaben, von Erwartungen, von Normen und Standards bewegen zu müssen, wird oft genug beklagt. Man schimpft über die Bürokratie, über das System, über die Organisation usw. Doch all das gibt den Meisten scheinbar den Rahmen, innerhalb dessen sie sich der Mühe entziehen können, die eigene Außergewöhnlichkeit auszuleben oder gar zu zelebrieren. Es ist einfacher, sie und sich ein- oder gar unterzuordnen, als einer Vision zu folgen. Der Gewöhnlichkeit etwas Eigenes entgegenzusetzen macht Arbeit.

Dabei bräuchten wir von diesem Engagement viel mehr. Wir brauchen dringend Menschen, die sich trauen, ihr Potential einzusetzen und andere damit anzustecken. Nicht voll krass und skandalös, sondern kulturell, sozial und liebenswert.

Denn der Mensch als solcher, jeder einzelne, ist außergewöhnlich. Wenn wir mal all die genormten Errungenschaften beiseite legen und uns auf unser Selbst besinnen und auf das ganzheitliche kulturelle Umfeld, in dem wir leben, dann kann man genau das bewundern.

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