Anstrengung
Das hat man heutzutage nicht so gerne. Viel lieber soll es angenehm sein, am besten gar „sexy“. Allein schon der Hauptteil des Wortes - streng - ist nicht geeignet für eine Welt, in der es vorzugsweise entspannt, ohne Druck und unterhaltsam zugehen soll.
In dem Moment, wo jemand mit „Arbeitsmoral“ oder gar der Anforderung nach „Leistung“ um die Ecke kommt, wird es eng.
Was durchaus verständlich ist. Leute, die Sprüche wie „Leistung muss sich wieder lohnen“ oder „Ohne Fleiß kein Preis“ auf Lager haben, muss man mit Vorsicht betrachten.
Es sind entweder Politiker:innen, die das Wirtschaftsschwungrad am Laufen halten müssen, damit das gesamte Konstrukt weiter funktioniert, das wir uns da mühsam zurechtgebastelt haben. Oder es sind Sporttrainier:innen von Athlet:innen, die diese nach vorne aufs Treppchen bringen wollen - oder müssen, um auch hier weiter im Getriebe des Systems mitspielen zu dürfen.
In diesen Bereichen also gilt Anstrengung - verbunden mit möglichst viel Arbeitszeit, effizienten Abläufen, wachsenden Ergebnissen, gar mit Blut, Schweiß und Tränen - als das Maß aller Dinge. Da muss man schon streng sein.
Und genau hier machen wir mal Halt. Denn streng genommen geht es gar nicht darum, sich krumm zu machen und vor lauter Anstrengung einzubrechen, sondern um viel mehr, vor allem um viel Wesentlicheres. Wer sich konzentriert mit einer Sache befasst, sich streng i.S. von sorgfältig auf etwas konzentriert, wer eine Angelegenheit ernst nimmt und tapfer (so kann man das Wort auch herleiten) dran bleibt, der erfüllt nicht lediglich einen Standard, der wirkt daran, etwas weiterzuentwickeln. Der Einsatz solcher Menschen bringt uns weiter.
Das bedeutet oft, gegen den Strom schwimmen zu müssen. Dem Standard, den Erwartungen anderer hinterherzulaufen und zu folgen, kann mühsam sein. Doch die eigentliche Anstrengung liegt darin, etwas selber zu denken, zu initiieren und auf die Beine zu stellen. Möglicherweise sogar gegen die landläufigen Vorstellungen davon, was Usus ist. Dann braucht es eine Menge Überzeugung und intrinsische Motivation, um diese Anstrengung aufzubringen. Mit dem Ziel, etwas zum Besseren zu verändern, vielleicht die Welt ein Stückchen nach vorne zu bringen.
Das macht deutlich: Anstrengung ist nicht allein eine physische Angelegenheit, messbar in Form von Arbeitsstunden, von Geschwindigkeit, von Krafteinsatz und Ähnlichem. Wer sich gedanklich, intellektuell, analytisch mit etwas auseinandersetzt, Themen von vielen Seiten beleuchtet, bei Zweifeln hinterfragt, nochmals prüft, Alternativen aufstellt, untersucht und in einen neuen Kontext bringt, die und der kommt vielleicht weniger ins Schwitzen (zumindest nicht wortwörtlich), aber hier ist ebenso enormer Einsatz notwendig, um kontinuierlich Fortschritt möglich zu machen. Auch hier erleidet man Einbrüche, Tiefs, Rückschläge. Selbst, wenn das von außen weniger sichtbar ist, als wenn man beim Rennen als Letzter durchs Ziel kommt. Da hätte sich doch mal jemand mehr anstrengen sollen.
Nein, darum geht es nicht. Wir müssen uns alle dahingehend trainieren, unterschiedliche Gestaltmöglichkeiten und unterschiedliche Arten von Ergebnissen anzuerkennen. Wir müssen wahrnehmen, dass zur Anstrengung mehr gehört, als das, was sichtbar ist und zu verwertbaren Ergebnissen führt.
Jeden Tag zu bewältigen, sich Mühe zu geben, als Mensch mit Menschen zu leben und dabei das Große und Ganze nicht aus dem Blick zu verlieren, ist eine nicht zu unterschätzende Anstrengung, die uns alle weiterbringt. Und das wäre mal wirklich eine universelle Anstrengung wert.